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Erwartungen des Redaktionsleiters eines historischen Forschungsprojektes zu den Überlegungen der Kreisverwaltung wie der 50. Jahrestag der Entstehung des Rhein-Sieg Kreises zu begehen ist

Im öffentlichen Bewußtseins der Bundesrepublik ist die vielfach zu beobachtende Entwurzelung des Individuums als Ergebnis gesellschaftlichen Wandels und in Folge der politisch erzwungenen Völkerwanderungen in Europa seit der sozialistischen Revolution 1917 in Russland verankert.

Die Bundesrepublik zeichnet sich durch die gelungene Integration von bis zu 20 Millionen Vertriebener, Aussiedler, Spätaussiedler und Asylanten sowie Bürger der DDR, die auch die Gruppe der jüdischen Flüchtigen vor der Verfolgung in den Ländern des ehemaligen Warschauer Paktes mit einschließt. Kaum ist in der öffentlichen Wahrnehmung bekannt, dass die Bundesrepublik Deutschland auch ein gutes Verhältnis zu der muslimischen Welt auszeichnete sowie bis heute einen regen wissenschaftlichen Austausch durch die einzige osteuropäische Exil-Universität in Deutschland aufweist, indem sie der Ukrainischen Freien Universität (UFU) in München eine neue Heimat bietet.

Waren diese Flüchtlingsströme politisch gewünscht oder zumindest einkalkuliert, kam seit den 60-er Jahren eine neue Gruppe nach Deutschland – die Gastarbeiter, von welchen unausgesprochen erwartet wurde, dass sie nach ihrem Arbeitseinsatz zurückwandern. Alle vorerwähnten Personengruppen fanden auch im Gebiet des Rhein-Sieg-Kreises eine neue Heimat.

Bei den ersterwähnten Gruppen, weil es keine Unterschiede in den überbrachten Traditionen gab, war nur eine wirtschaftliche Integration erforderlich. Kamen die politisch verfolgten Asylanten und jüdische Umsiedler bereits aus unterschiedlichen Kulturkreisen, so gab es keine großen Unter-schiede zu der deutschen Leitkultur.

Bereits bei der Gruppe der Asylanten, der Juden und der Gastarbeiter konnte man jedoch beobachten, dass obwohl sie erfolgreich integriert sind, dennoch Paralellkulturen (auch in sprachlicher Hinsicht) entstanden sind. Eine Parallelgesellschaft [1] bedeutet eben, dass es eine in der Regel in sich abgeschlossene Personengruppe gibt, die eigene Regeln befolgt, welche sich entweder in einer Übereinstimmung mit dem jeweils aktuellen positiven stattlichen Regelwerk befinden oder auch nicht und diese ggfs. dual bestehen wie die Schariagerichte paralell zu der allgemeinen deutschen Rechtsprechung. Diese kann entweder deutschsprachig sein wie beim Adel oder den jüdischen Gemeinden [2] in Deutschland oder auch fremdprachig wie bei den in Deutschland lebenden Türken [3], Russen [4], Polen, Jesiden[5] oder Sondergruppen wie der Japanern [6].

Dieser Trend verstärkte sich durch die Öffnung der EU im Jahre 2004 und führte zu einem weiteren Zuzug überwiegend aus den neu beigetretenen Ländern des östlichen Europa, die ebenfalls Paralellkulturen mit eigenen Sprachinseln bilden wie die Polen. Die Prägung durch die deutschen öffentlich beeinflußten Massenmedien erreicht die Gruppen mit einem dualen fremdsprachigen Kulturkreis vielfach kaum, denn es werden polnische, russische oder arabisch-türkische Massen- oder Internetmedien konsumiert.

Für die Förderung einer gemeinsamen Leitkultur sind die Kernfamilie und die Sozialisation durch den Bildungs- und Ausbildungsweg und die berufliche Tätigkeit hauptprägend. Bei der ersten Generation der Übersiedler ins Rheinland erfolgt jeweils nur die Sozialisation durch das berufliche Umfeld, somit kommt erst die zweite Generation in den Genus einer gemeinsamen leitkulturbil-denden Sozialisation (mit Einschränkung beim fremdsprachigen Medienkonsumverhalten).

Im überwiegenden Zeitabschnitt des 2019 zu feiernden Jubiläums wurde die traditionsbildende Funktion des öffentlichen Bildungssystem seit den 60-Jahren zugunsten neuer Curricula wie z. B. der Informatik und des Marsches der 68-Generation durch die Institutionen verdrängt.

Die politische und staatsbürgerliche Bildung wird im außerschulischen und außeruniversitären Bereich durch die Landes- und Bundeszentrale für politische Bildung sowie die parteinahen Stiftungen ausgeübt, die sich jedoch gemäß deren öffentlich-rechtlichen Finanzierung anderen kurzfristigen Aufgaben als der Vermittlung einer gemeinsamen Leitkultur widmen.

Nicht nur in den Bewölkerungsteilen mit Migrationshintergrund sind die weiter zurückliegenden Elemente der Heimattradition kaum bekannt. Dennoch bilden gerade diese die Wertegrundlage nicht nur des Rheinlandes, sondern der gesamten deutschsprachigen Gebiete, die sich in über 8 Jahrhunderten im Heiligen Römischen Reich (HRR) entwickelten.

Die bisherige Auseinandersetzung mit unserer Lokal- und Regionalgeschichte wird überwiegend auf die Zeiten der regionalen Fremdbestimmung reduziert:

–           erst der Fremdbestimmung durch die französische Besetzung und die Zerstörung sämtlicher Elemente früheren heimatbildenden Epochen über Jahrhunderte und danach

–           durch die preussische Annexion des Rheinlandes, die gezielt und totalitär die überbrachten Strukturen und Kulturwerte zerstörte, welche die Zeit der französischen Besatzung überdauert haben.

Aus der französischen Periode verblieb das „Code Napoleon“ (code civil), aus der Zweiten das „Preussische Landrecht“, die beiden bis heute maßgeblich das deutsche Rechtssystem bestimmen und wie die unrühmliche Zeit des Deutschen Reiches mehr als ausreichend dokumentiert sind. Die Kenntnis der eigentlich indentitätsbildenden Jahrhunderte bis zur französischen Revolution werden in der heutigen staatlich gelenkten Sozialisation unterdrückt.

Ein Beispiel: Wenn man im bayerischen Bamberg jemanden fragt, wo er herkommt, sagt er dass er aus Franken stammt. Und nicht aus Bayern, denn als Bayer fühlt er sich nur in einem größeren Zusammenhang. Wenn man im RSK bei einem Altinsassen nachfragt, erntet man in der Regel nur einen Blick des Unverständnisses, wenn man ihm mitteilt, dass seine Vorfahren aus Berg kamen.

Der vorstehende 50. Jahrestag sollte daher schwerpunktmässig mit einer partizipationsfähigen elektronischen Präsentation beginnen, durch traditionsbildende Sendungen in den Massen-medien gefördert werden und soll frei von nationalistischen, religiösen, sprach- und grenz-bezogenen Scheuklappen ganzheitlich die Problematik der Entstehung unseres Heimatraumes beleuchten aus dem vor 50 Jahren politisch-verwaltungstechnisch der Rhein-Sieg Kreis gebildet wurde.

Der Staat hat sich aus seiner traditionsbildenden und brauchtumspflegenden Funktion bereits verabschiedet und sie wird bedauerlicher Weise in dieser ganzheitlichen Form auschließlich von Heimat- oder historischen Vereinen und privaten Stiftungen wahrgenommen, die im Kreis flächendeckend anzutreffen sind und ungenügend gefördert werden.

 

Daher ist:

  1. von einer Feier für die Belegschaft der Verwaltung des Rhein-Sieg Kreises in der vorgesehenen und aus Steuermitteln finanzierten Art ist abzusehen. Es ist kaum mit der fortlaufenden Aufrufung zur Stärkung der ehrenamtlichen Eigeninitiative vereinbar, wenn aus Steuern finanzierte Beschäftigte des Kreises sich auch die Feier ihres Arbeisplatzes aus den öffentlichen Mittel finazieren lassen. Eine privat organisierte und finanzierte Feier der Beschäftigten des Kreises ist zu befürworden.
  2. Ebenso ist auf die geplante aus Steuermitteln finanzierte Rundreise des CDU-Landrats zu verzichten, denn es kann leicht als Eröffnung des Kommunalwahlkampfes 2020 mißverstanden werden und dadurch als eine verbotene Parteifinanzierung angesehen werden.

 

Vielmehr sollen die vorgesehenen Mittel in der Höhe von 80.000 € für nachfolgende Schwerpunkte der Begehung des 50. Jahrestages der Kreis-Entstehung verwendet werden:

  1. Zur finanziellen Förderung der Heimat- oder historischen Vereinen in den Gemeinden um ihnen zu ermöglichen, Beiträge zur ganzheitlichen Lokalgeschichtsdarstellung zu erstellen und in einer Publikationsreihe zu veröffentlichen. Schwerpunkt der Beiträge soll nach Möglichkeit bei den Perioden vor der eingetretenen Fremdbestimmung durch die napoleonischen Kriege, französische Besatzung und der nachfolgende preussische Annexion liegen, da die Zeiten der französischen Besetzung mit code civil und der preußischen mit dem Preußischen Landrecht ausreichend präsentiert sind. Die Zeit des Deutschen Reiches und seit dem Ersten Weltkrieg ist ausreichend durch Publikationen der Landes- und Bundeszentrale für Politische Bildung dokumentiert und präsent. Dabei sind auch schulpädagogische und museumsdidaktische Beiträ-ge anzustreben, die im schulischen Bereich Verwendung finden sollen. Hierdurch werden die einzigen lokal und ehrenamtlich an der Erhaltung und Vermittlung der Leitkultur wirkenden Kräfte unterstützt. Die Kreisverwaltung hat in geeigneter Weise sicherzustellen, dass nicht nur das Kreisarchiv, sondern auch das Landesarchiv den mit dieser Aufgabe beschäftigten Vereine einen erleichterten Zugang zu den erforderlichen Archivalien erhalten.
  2. Auf der WEB-Kreispräsentation ist ein Bereich für die Ausseinandersetzung mit der Geschichte der Landschaft, die vor 50 Jahren zum Rhein-Sieg Kreis zusammengefasst wurde, einzurichten. Auch hier sollen die Ergebnisse der entstandenen Arbeiten gemäß Punkt 1 zur Veröffentlichung gelangen. Überdies ist dieser Unterbereich der Kreispräsentation in Internet Raum für Zeugnisse im Sinne von „Oral History“ bereitzustellen. Die Bürger des Kreises sollen durch die Arbeit der Presseabteilung des RSK ermuntert werden, in biographischen Noten deren Lebens-erlebnisse elektronisch zu fixieren und dadurch für kommende Generationen zu erhalten.
  3. Die vorstehend geforderte Schriftenreihe ist in ausreichender Anzahl in Klassensätzen den allgemeinbildenden Schulen im Kreisgebiet kostenlos zur Verfügung zu stellen, damit sie zur Beschulung mit den die Leitkultur konstituieren historischen Prozessen eingesetzt werden kann.
  4. Der aus Zwangsbeiträgen der RSK-Bevölkerung finanzierte Westdeutscher Rundfunk (WDR) ist zu verpflichen, zu dem Jubiläumsjahr Serien mit geschichts-, regionalkultur- und brauchtums-vermittelnden Inhalten zu erstellen und auszustrahlen (wie es geht kann man an den Inhalten des Bayerischen Rundfunks ersehen).
  5. Die Verwaltung hat auf die VHS Bonn/Rhein-Sieg einzuwirken, dass zumindest zu dem Jubilä-umsjahr Kurse mit geschichts-, regionalkultur- und brauchtumsvermittelnden Inhalten ange-boten werden, wobei die Kurskosten von dem Rhein-Sieg Kreis übernommen werden sollen, damit bildungsfernen Bevölkerungsgruppen die Teilnahme erleichtert wird. Obwohl die VHS Bonn/Rhein-Sieg reichlich mit öffentlichen Geldern finanziert wird, werden vielfach gender-bezogene Kurse jedoch kaum traditionelle, leitkulturbildende Veranstaltungen angeboten.
  6. Es soll versucht werden, auch das quartäre Bildungssystem in den 50-Jahrestag einzubinden. So können im Rahmen des Instituts für Landeskunde der Universität Bonn Seminare mit landes-geschichtlichen- und regionalkulturbezogenen Inhalten initiiert werden.

 

Da alle obigen Projekte für den Kreis entweder kostenneutral sind oder bei den Punkten 1, 3, und 5 auch aus anderen Haushaltstiteln zufinanziert werden können, bildet der vorgesehene Kosten-rahmen von 80.000 € kein Ausschlußkriterium.

(Text: Dr. Edward von Schlesinger)

 

[1] Dem entgegen steht die umstrittene Definition vom Historiker Klaus J. Bade: „Parallelgesellschaften im klassischen Sinne gibt es in Deutschland gar nicht. Dafür müssten mehrere Punkte zusammenkommen: eine monokulturelle Identität, ein freiwilliger und bewusster sozialer Rückzug auch in Siedlung und Lebensalltag, eine weitgehende wirtschaft-liche Abgrenzung, eine Doppelung der Institutionen des Staates“. Nach: Interview vom Novem-ber 2004 mit der Redaktion von Spiegel Online. Zugang: 10. VII. 2017. Auch wenn diese Definition auf die fremdsprachigen Parallelgesellschaften z. T. zutreffen kann, unterscheidet sich dies bei den deutschsprachigen Parallelgesellschaften. Sowohl beim Adel als auch bei der jüdischen Gemeinschaft findet kein freiwilliger und bewusster sozialer Rückzug, sondern freiwillige und bewusste Einflußnahme auf die Mehrheitsgesellschaft, jedoch aus einer besonderen Position heraus, statt. Insofern kann auch nicht von einer weitgehenden wirtschaftlichen Abgrenzung sprechen, sondern vielmehr von einer privilegierten Position in den Wirtschaftsprozessen.

[2] Nach Editorial, Bundeszentrale für politische Bildung, http://www.bpb.de/izpb/7644/editorial, und der Deutschen Wikipedia betrug zum 1. Januar 2016 die Zahl der mosaischen Glaubens-gemeinschaften 200.000 Personen, nach anderen Daten 117.000 Personen, Zugang 10. VII. 2017.

[3] In dem Migrationsbericht des BAMF 2013 wurde für das Jahr 2013 die Zahl von 2.998.000 Personen türkischer Abstammng angegeben.

[4] Nach Aleksandr Arefjew, dem stellvertretenden Direktor des soziologischen Forschungs-zentrums des russischen Volksbildungsministeriums, zufolge lebten in der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2007 etwa sechs Millionen Russischsprecher, die aus den Nachfolge-staaten der Sowjetunion zugewandert sind. Im Jahr 2012 waren von den drei Millionen aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland Zugewanderten 500.000 russische Staatsbürger. Die meisten reisten als Russlanddeutsche oder als russischsprachige Juden bzw. als deren Familien-angehörige ein (darunter viele Russen, Ukrainer, Weißrussen und Menschen aus anderen Völkern der ehemaligen UdSSR). Nach: Deutsche Wikipedia, Zugang 10. VII. 2017.

[5] Allein die Minderheit der Religionsgruppe der Jesiden in der Bundesrepublik Deutschland wird auf 35.000 – 45.000 (nach Angaben des Religionswissenschaftlichen Medien- und Informa-tionsdienstes REMID) bis über 100.000 (anch Angabe der Jesiden) Personen geschätzt. Nach: Deutsche Wikipedia, Zugang 10. VII. 2017.

[6] Im Jahr 2008 lebten laut Japanischem Generalkonsulat in Düsseldorf und den angrenzenden Gemeinden 8.187 Japaner, davon 6.548 innerhalb der städtischen Grenzen. Nach: Deutsche Wikipedia, Zugang 10. VII. 2017.

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