„Thingplatz Herchen – eine Spurensuche“ heißt das neue Buch von Dr. Wolf-Rüdiger Weisbach, das im April 2021 erschienen ist. Eine Rezension von Stefan Läer:
Die Frage nach der Zukunft eines Denkmals aus der Zeit des Nationalsozialismus geht uns alle etwas an. Wie soll unsere Gesellschaft umgehen mit diesem theaterähnlichen Versammlungsort, der durch das Naziregime zur Verbreitung seiner Ideologie gebaut wurde?
Der Autor erklärt vieles rund um das mysteriöse Denkmal, das seit 1934 auf einem Bergsporn über der Sieg thront, mittlerweile um- und überwuchert von der Natur. Viele Jahre war es mehr oder weniger in Vergessenheit geraten. Doch seitdem der Natursteig Sieg nicht nur am Thingplatz entlang, sondern geradewegs über die terrassenförmig ansteigende, gestaffelte Bühne des Theaters führt, steht er vermehrt im Rampenlicht.
Besonders eindrücklich ist die Rotunde am Fuße des Platzes, das eigentliche „Denkmal“. Es erinnert mit martialischen Worten an die Gefallenen des 1. Weltkriegs: „Geboren als Deutscher – Gelebt als Kämpfer – Gefallen als Held – Auferstanden als Volk“.
Inzwischen informiert auch eine Hinweistafel vor Ort über den Thingplatz, nennt ihn ein „unbequemes Denkmal“. Information ist gut, denn das Wissen über den damaligen Zweck dieser Bühne ist selbst unter Einheimischen noch immer lückenhaft.
Für größere Veranstaltungen wurde der Platz in Herchen nicht genutzt; lediglich eine große Einweihungsfeier ist überliefert, schreibt Weisbach. Schon 1937, also vier Jahre nach der Machtübernahme der Nazis, findet die so genannte Thingbewegung ihr Ende. Propagandaminister Goebbels sah in Film, Radio und Stadien geeignetere Möglichkeiten der Vereinnahmung der Bürger für eine Ideologie, die letztlich Millionen Menschen das Leben kostete. Ein zertifiziertes Thingspiel wurde nach den Recherchen Weisbachs nie in Herchen aufgeführt.
Dennoch blieb bis heute ein recht gut erhaltenes Gebilde aus Stein zurück, von dem es in Nordrhein-Westfalen nicht viele gibt. Steine, die erinnern sollen. Wie soll man umgehen mit diesem Denkmal?
Der Autor lässt dem Leser seine eigene Meinung. Gegensätzliche Meinungen, ja die Diskussion über diesen Platz ist ausdrücklich erwünscht, solange sie friedlich und mit guten Argumenten – statt mit Schmierereien und Polemik – ausgetragen wird. Es gibt Stimmen, die den Abriss des Denkmals fordern.
Weisbach selbst setzt sich für den Erhalt des Thingplatzes als unbequemes Denkmal ein. Er kritisiert den ungepflegten Zustand des Platzes, der langsam von der Natur zurückerobert wird und im Grün zu verschwinden droht – obwohl die Anlage seit 1986 als Zeugnis des Nationalsozialismus in einer ländlichen Gemeinde unter Denkmalschutz steht. Hier ist laut Weisbach die Gemeindeverwaltung oder die zuständige Denkmalschutzbehörde gefragt.
Für die langfristige Restauration des Geländes, z. B. über die REGIONALE oder das Landesamt für Denkmalpflege, schlägt Weisbach die Gründung einer ortsübergreifenden Initiative vor. Weisbach kann sich auch eine moderne Lösung für die Rückkehr der Namen der Kriegstoten vorstellen, zum Beispiel in Form einer Installation aus Kunststoff oder Plexiglas statt auf den ehemals an diesem Ort befindlichen Steinplatten. Die Namen der Toten sollten laut Weisbach nicht vergessen werden, da sie 1870/71 und 1914-1918 „Opfer deutschnationaler Interessenpolitik autokratischer Systeme“ geworden seien.
Weiterhin fordert der Autor, den Thingplatz als Beispiel für eine menschenverachtende Ideologie im Sinne einer Erinnerungskultur, ebenso wie das Landjudenhaus in Rosbach, in den Unterricht der örtlichen Schulen zu integrieren. Sein Gespräch mit Schülern des Bodelschwingh-Gymnasiums Herchen habe gezeigt, dass gerade jüngeren Menschen die Erinnerung an die Hinterlassenschaften dieser Ideologie als Mahnmale wichtig sei. Die Erinnerung ist erforderlich, damit sich Geschichte nicht wiederholen kann.
Das Buch beschäftigt sich unter anderem auch mit der Frage, ob Herchen als ehemals „brauner Ort“ bezeichnet werden kann. Richtig ist sicher, dass nationalistisches Gedankengut bereits viele Jahre vor der Zeit der nationalsozialistischen Machtergreifung in Herchen vertreten war. Als Beispiele dafür nennt Weisbach insbesondere den Kriegerverein und das Sedan-Spiel, das in den Jahren des ausgehenden 19. Jahrhunderts regelmäßig von deutschnationalen Kreisen des Düsseldorfer Malkastens, die Herchen als „Sommerfrische“ besuchten, organisiert wurde. Prominente Gäste vom Rhein brachten nicht nur das dazu notwendige Gedankengut, sondern auch das notwendige Geld nach Herchen. Auch das zu Beginn des 20. Jahrhunderts errichtete „Pädagogium Herchen“ als Zweigschule der Otto-Kühne-Schule in Bad Godesberg knüpfte an diese nationalistische Gesinnung an, wie der Bau des für dörfliche Verhältnisse überdimensionierten Hindenburgdenkmals (inzwischen eine Aussichtsplattform) beweist. Bereits 1932 wurde Adolf Hitler Ehrenbürger der Gemeinde Herchen.
Zu oft würden die ehemalige Gemeinde und das Dorf jedoch „in einen Topf geworfen“, klagt Weisbach. So habe es im Dorf auch Widerstand gegen den Nationalsozialismus gegeben. Weisbach erwähnt im Besonderen den evangelischen Pfarrer Hartig, der trotz Drohungen mit seinem Presbyterium standhaft Mitglied der bekennenden Kirche blieb. Zusammen mit Kirchmeister Albrecht Land soll Hartig sogar zum Reichssicherheitshauptamt nach Berlin gefahren sein, um sich für die Freilassung des inhaftierten Pfarrers Niemöller einzusetzen.
Weiterhin schreibt Weisbach:
„Diese Haltung der ev. Kirchengemeinde, die unterstützt wurde durch zahlreiche persönliche Aktionen vieler Bürger des Dorfes und seiner Umgebung, beweist, dass Herchen trotz vieler braun gestrichener Bürger den Mut aufbrachte, sich gegen den Mainstream der Zeit durchzusetzen.“
Nach dem 2. Weltkrieg war Albrecht Land, inzwischen Bürgermeister, maßgeblich an der Neugründung des Pädagogiums, mittlerweile in der Trägerschaft der evangelischen Landeskirche, beteiligt – ein neuer Geist hatte Einzug gehalten.
„Thingplatz Herchen – eine Spurensuche“ ist ein wertvoller und lesenswerter Beitrag zur Herchener Geschichte. Weisbach beschönigt nichts, er relativiert nichts, er bringt Fakten klar auf den Punkt und zieht, wohl differenziert, seine Schlüsse daraus.
Erschienen ist das 56 Seiten umfassende Buch im Verlag Kunst im Keller, Fernblick 2, 51570 Windeck-Herchen, ISBN 978-3-9804131-4-5, erhältlich in den Buchhandlungen Windrose in Eitorf und Schlösser in Rosbach, in der Herchener Bücherei/dem Malkasten sowie beim Autor selbst (info@galerie-herchen.de).
(Text & Bild: Stefan Läer)
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